Im vergangenen Monat bestand die Vereinigung Freistaat
Brandenburg-Preußen e.V. mit ihrem unermüdlichen Vorsitzenden Dr. Hermann
Knaack aus Frankfurt / Oder zehn Jahre. Bei ihrer Gründung am 9. Juni 1990 im
Schloss Neuhardenberg hatte sie sich zur Aufgabe gemacht, für die Neubildung
eines Bundeslandes Brandenburg-Preußen im alten Kernbereich Preußen zu
werben. Ihr Ziel war die Herausbildung zweier deutscher Länder im Raum der
DDR auf der historischen Grundlage des brandenburgisch-preußischen Nordens
einerseits, des sächsich-thüringischen Südens andererseits – behutsam
und bei Berücksichtigung der mentalen Eigenheiten der Menschen in diesen
Bereichen.
Zweckmäßige Zusammenfassung
Denn auch im Süden der DDR gab es analoge Be-strebungen.
Namentlich war es der Leipziger Prof. Blaschke, der im Rückgriff auf das
uralte Stammesherzogtum Sachsen und dann vor allem auf den Kurstaat und das
spätere Königreich Sachsen für die Schaffung eines Landes Sachsen eintrat,
dass auch den thüringischen Raum und weite Teile des heutigen
„Sachsen-Anhalt“ umfassen sollte. Seine Vorstellungen hatten im
Westen immerhin ein gewisses Publikumsinteresse gefunden, zu praktischer
Wirksamkeit gelangten sie nicht.
Die Bestrebungen der Vereinigung Freistaat
Brandenburg-Preußen allerdings wurden sogleich von allen Seiten, voran den
Medien, die ja bereits bei der Nennung des Namens Preußen neurotisch
reagierten, totgetreten. Zur großen Verblüffung der Verfechter dieser Idee,
zu denen ich damals gehörte.
Für uns bezog sich ein Bundesland schlechthin auf (wie es
im Grundgesetz heißt) landsmannschaftliche Verbundenheit, geschichtliche und
kulturelle Zusammenhänge, wirtschaftliche Zweckmäßigkeit und Raumordnung.
Und mit diesem „unserem“ Preußen, bestehend
etwa aus den jetzigen „Ländern“ Brandenburg, Sachsen-Anhalt,
Vorpommern (mit oder ohne Mecklenburg) und Berlin, hatten wir vor allem den
in dreieinhalb Jahrhunderten gewachsenen brandenburgisch-preußischen
Kulturkreis im Blick, also genau das, was die Menschen und ihre Mentalität in
diesem geographischen Bereich geprägt hat. Von daher waren wir doch sehr
erstaunt, dass ganz planmäßig auf die Wiederherstellung der von der
sowjetischen Besatzungsmacht installierten fünf Länder hingearbeitet wurde.
Hinzu kommt: Preußen, so wurde uns westlicherseits stets
entgegengehalten, sei mit dem Kontrollratsgesetz vom 25. Februar 1947 ein für
allemal abgeschafft, sozusagen geächtet und verboten. Wir haben in unserem
Raum das Zustandekommen wie den Inhalt dieses Kontrollratsgesetzes immer sehr
viel pragmatischer betrachtet. Wir sahen darin mehr ein erstes Er-gebnis des
begonnenen Kalten Krieges und des damit verbundenen Bestrebens der
Besatzungsmächte, sich in ihren Zonen auf längere Zeit einzurichten. Im
Gegenteil bezogen wir uns doch gerade auf die Bestimmungen dieses Gesetzes
(den Artikel 2), als wir im Blick auf die völlig neuartige Situation die
Bildung eines Bundeslandes Preußen bzw. Brandenburg-Preußen als im Interesse
des erneut vereinigten Deutschlands wähnten. Ein Wort in diesen Tagen hieß:
„Ohne Preußen ist mit Deutschland kein Staat zu machen“:
Weder im Zuge der Länderneubildung im letzten Jahr der DDR noch etwas später
im Zusammenhang mit der Kampagne zur Vereinigung von Berlin und Brandenburg
wurden diese Bestrebungen als politikfähig betrachtet. Aber waren sie darum
auch falsch? Und wenn man diese Frage verneint, wäre dann nicht ein Neuansatz
möglich, diesmal von anderen Voraussetzungen her?
Denn inzwischen ist weiterhin klar geworden, dass die
Länderbildung von 1990 nicht den Gipfel staatsmännischer Weisheit darstellt.
Großflächige Länder verfügen nun einmal über mehr Potenzen zur Problemlösung
als kleine, und das Projekt einer Zusammenführung von Berlin und Brandenburg
war bzw. ist doch der Versuch einer Korrektur. Woran ist – im ersten
Anlauf – dieser Versuch gescheitert? Eine schlüssige Antwort darauf ist
wohl kaum zu geben, ein Moment aber wird sich kaum leugnen – und wohl
auch künftig politisch nicht ignorieren lassen: das Unbehagen eines
ziemlichen Teiles der Brandenburger vor dem Übergewicht Berlins. Und schon
von daher wäre es der Mühe wert, die Einbeziehung auch Sachsen-Anhalts und
Mecklenburg-Vorpommerns in einen solchen LänderNeugliederungsprozess zu
durchdenken.
Tradition des preußischen Kulturraums
Das ein solcher Weg vor allem im Blick auf die damit
mögliche Bündelung der Landeskapazitäten und auch wirtschaftlich enorm viele
Vorzüge hätte, wäre weiterer Überlegungen wert. Im Blick auf den damit
gegebenen Rückgriff auf den alten, in Jahrhunderten gewachsenen preußischen
Kulturraum aber gäbe es vielerlei Entwicklungslinien, die für uns heute von
geradezu tragender geistiger Bedeutung sein könnten. Nicht nur die
gelegentlich bemühten preußischen Tugenden sind hier gemeint, obwohl diese
sehr ernst genommen werden können; man spricht eigentlich erst über sie, seit
sie uns irgendwie fehlen. Vielmehr geht es um geistig-politische
Entwicklungslinien von ganz merkwürdiger Aktualität.
Da ist die Traditionslinie, die sich mit den Namen Kant
und Hegel verbindet, vorbereitet durch den sogenannten aufgeklärten
Absolutismus unter Friedrich II. – im kategorischen Imperativ Kants
fand das preußische Pflichtethos seinen höchsten Ausdruck, dass wir heute auf
die schlichte Formel „Dienst am Ganzen“ bringen können und das
wir in unserer heutigen Situation als Impuls staatsbürgerlicher Aktivität so
sehr brauchten.
Tradition der Einwanderung
Da ist weiterhin die Tradition der Einwanderung und
Ansiedlung von Ausländern zu nennen, die mit der Aufnahme der Huge-notten und
der Salzburger nur besonders herausragende Beispiele fand, die aber in der
preußischen Geschichte fortwährend stattfand. Ein Schulbeispiel dafür ist
etwa die Besiedlung des Oderbruchs vor gerade jetzt 250 Jahren. Interessant,
dass solche Ansiedlungen fast immer bei den davon berührten und betroffenen Einwohnern
wenig Gegenliebe fanden, sondern „durchgesetzt“ werden mussten,
dann aber in der Regel ein Segen für das gemeinsame Ganze waren; allerdings
brachten diese Ansiedler auch die Bereitschaft mit, sich auf die hier
vorfindliche Kultur zu orientieren (man denke nur an den brandenburgischen
Dichter Theodor Fontane, dem man seine hugenottische Herkunft erst anmerkt,
wenn man um sie weiß). Vielleicht helfen uns hier historische Parallelen,
unsere heutigen Aufgaben besser zu bewältigen.
Nicht weniger interessant ist die Tradition der liberalen
Reformen in Preußen, und dies vor allem deshalb, weil sie sich nicht auf die
Stein/Hardenberg-Epoche beschränkt – Preußen war immer ein Staat der
Reformen und nicht der Revolution. Dennoch: Preußen hat neben seinem Konservatismus
auch liberale und sozialistische Traditionen – die Liberalen der 48er
Revolution waren ebenso Preußen wie (um nur ein exponiertes Beispiel zu
nennen) der mehr konservative Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke. Von
letzterem stammt übrigens der Satz: „Jeder Krieg, auch der siegreiche,
ist ein Unglück!“ Und wir sollten auch nicht den Freistaat Preußen nach
1918 vergessen, der während der Weimarer Zeit unter der Re-gierung des
Sozialdemokraten Otto Braun der stabilste und sozusagen der sozialdemokratische
Musterstaat innerhalb Deutschlands war, mit enormen Leistungen, etwa im
Schulwesen und in der Selbstverwaltung. Und auch der Konservatismus Preußens,
mit dem unserer Tage kaum vergleichbar, hat noch in der jüngsten Geschichte
ein Beispiel seiner inneren Größe gegeben: Es war ja gerade das konservative
Preußen, das am 20. Juli 1944 gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime
aufstand, und es waren die glänzendsten Namen der preußischen Geschichte, die
dabei ihr Leben einsetzten!
Tradition der Toleranz
Nicht zuletzt muss die kostbare Tradition geistiger und
religiöser Toleranz genannt werden. Sie ist ja nicht von Preußen erfunden
worden – Preußen hat damit das Erbe Polens, dem Musterland der Toleranz
in der Renaissance – weitergeführt. Diese Tradition wird heute oft
genannt, dabei aber im Grunde von unserem eigenen liberalistischen Denken her
missverstanden in dem Sinne, als seien von einem unparteiischen Staat alle
Meinungen und Auffassungen geduldet worden. Es war vielmehr die
entgegengesetzte, also die antagonistische Meinung, die da toleriert wurde!
Wir schwer fällt uns das doch heute, und wie wichtig wäre es, dass wieder zu
lernen. In diesem Zusammenhang gehört auch das Verhältnis Preußens zu den
Juden. Brandenburg-Preußen hat – immer im Vergleich zu anderen Staaten
in seiner Zeit – den Juden gegenüber eine tolerantere
Haltung gezeigt, hat verfolgte Juden aufgenommen und ihnen günstigere
Entwicklungsmöglichkeiten geboten. Nicht von ungefähr gehören Juden zu den
herausragenden Persönlichkeiten des geistigen und wirtschaftlichen Lebens in
Preußen, von Moses Mendelssohn bis hin zu Walter Rathenau.
Durch all die Jahrhunderte seit den Tagen des
Dreißigjährigen Krieges aber zieht sich wie ein roter Faden eine Linie, die
uns gerade heute Kraft zu geben vermag: Dieses Land ist mehr als andere
deutsche Regionen immer wieder von Kriegen und von Katastrophen heimgesucht
worden, hier mussten Menschen unerhört viel Leid und Zerstörungen erdulden
– und immer wieder aber haben seine Bewohner, eingesessene und hinzugekommene,
sich aus ihrer Misere aufgerichtet, in fleißiger Arbeit Neues geschaffen und
sich ihr Leben eingerichtet, nicht gerade üppig, aber in bescheidenem
Wohlstand und alles in allem lebenswert.
Genau dies wären entsprechend dem Grundgesetz Kriterien
für ein Bundesland, und ein Föderalismus ohne Preußen im heutigen Deutschland
nach der Vereinigung mit jenem Gebiet, dass die preußischen Kernlande Mark
Brandenburg, Magdeburg und Vorpommern enthält, ist letztlich sinnlos. Es
bleibt dabei: „Ohne Preußen ist mit Deutschland kein Staat zu
machen“.
|